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27.02.2022

Gedanken zu Sophie und ich

Als ich letztes Jahr gefragt worden bin ob ich bei dem Theaterstück „Sophie und ich“ mitmachen will, wusste ich dass es sich um ein Thema handelt, das bis heute noch aktuell ist. Es ist nicht schwer Spuren und Hinterlassenschaften des Nationalsozialismus in unserer Gesellschaft zu finden. Und auch wenn sich langsam der Deckmantel des Vergessens darüber legt und Zeitzeugen immer weniger werden oder gerade deshalb scheint der Geist jener Zeit immer wieder aufzubranden. Fremdenhass, Ausländerfeindlichkeit, Vorurteile und zunehmende Gewaltbereitschaft waren bereits vor Corona immer wieder spürbar. Sicher mit Corona hat sich dafür eine ganz neue Plattform gefunden und immer öfters sah man sich mit Leuten konfrontiert, die eigentlich mal zum Freundeskreis gehört haben, nun aber deutlich zeigten, der Rest der Welt ist mir egal solange es nur mir gut geht. Wie oft das Wort „Freiheit“gefallen ist, teils in Zusammenhängen bei denen man nur den Kopf schütteln konnte. Stimmen wurden laut von Leuten die sich mit Sophie Scholl und Anne Frank vergleichen, unzählige die schimpfen , sie würden sich vorkommen wie die Juden damals. Worte, die für mich nicht nur unverständlich waren, sondern auch eine regelrechte Beleidigung für all Jene, die damals gelebt und gelitten haben. Worte, die aufzeigen wie weit weg wir doch in Wirklichkeit von allem waren das mit Krieg und der Realität des Nationalsozialismus zu tun hat. Ein zweifelhaftes Privileg all jener, die ohne Sorgen und mit allen Freiheiten, die ein wirklich demokratischer Staat bietet, aufgewachsen sind, denn die Corona Einschränkungen und ein tatsächlicher Verlust der Freiheit, ein Verlust der Redefreiheit und der Gräuel die es dazumal zu erleben gab lassen sich nur schwer vergleichen.

Alles Punkte die mich für das Projekt „Sophie und ich“ brennen ließen. Die Erkenntnis, dass es an der Zeit ist zu erinnern, wahrzunehmen, zu verstehen und das Begriffene dann auch wieder umzusetzen.

Sophie Scholl war mir zu beginn der Proben ein Begriff, ich hatte in der Schulzeit mal ein Referat über sie gehalten, war ins Thema eingetaucht und wusste ziemlich genau mit wem ich es zu tun habe. Traudl Junge hingegen war ein Gespenst der Vergangenheit, dessen Namen ich hier und da zwar gehört hatte, die aber letzten Endes noch lange keine Persönlichkeit war, die sich mir ins Gehirn gebrannt hätte. Etwas das sich in den nächsten Monaten ändern sollte.

Nachdem wir schließlich das Textbuch zum Lesen bekamen war ich hocherfreut in Traudl eintauchen zu können. Ich bin bei meiner Oma (Jahrgang 1927) aufgewachsen und so sehr ich die Frau auch liebe, war es für mich immer unverständlich zu verstehen, wie man den Nationalsozialismus erleben und sagen kann man hätte von der Vernichtung, einem Genozid an einem ganzen Volk nichts mitbekommen. Erst recht nicht, wenn fast zeitgleich berichtet wird “Das Kaufhaus Knopf ist geschlossen worden weil das Juden waren“ oder erzählt wird, wie ein Nachbar, der Jude war auf der Straße hin und her getrieben wurde, weil er sich der Verhaftung entziehen wollte. Warum wurde nicht mehr nachgefragt, mit welcher Begründung man die Nachbarn einfach verhaftet hat? Warum nie die gelernten und anerzogenen Gründe und Werte hinterfragt? Wieso nie nachgeforscht wohin sie verschwunden sind?

Für ein Kind der Neunziger war das immer unbegreiflich und tatsächlich war dies mit ein Grund warum mich Traudel Junge so fasziniert hat, denn ja, sie war im innersten Kreis und wie es im Stück heißt „So weit weg“. Was jedoch bei Traudl passiert ist und bei vielen anderen (ebenso wie bei meiner Oma) einfach übersprungen und zur Seite geschoben wurde, ist eine Regung des Gewissens und der Selbsterkenntnis, das man vielleicht doch hätte mehr machen müssen, mehr machen können, fragen sollen.

 

Wie gesagt, zu Beginn wussten wir dass dieses Stück aktuell sein würde,wie brandaktuell jedoch war uns bis vor ein paar Tagen und dem Einmarsch der Russischen Truppen in der Ukraine noch nicht bewusst. Über Monate hinweg immer wieder und seit dem Februar ganz intensiv sind wir in die Zeit von 1936-1945 eingetaucht. Für mich persönlich war ein besonderer Knackpunkt immer die Frage wie muss man sich wohl fühlen wenn die eigene Heimat plötzlich zerbombt wird, wenn Bekannte und Freunde tot sind und das Bewusstsein da ist, dass es für jeden in jedem Moment vorbei sein könnte. Die Frage hat sich irgendwie geklärt. Vorgestern flog plötzlich nach Einbruch der Dämmerung nicht nur ein Flugzeug über den Himmel, eine ganze Kette muss es dem Geräusch nach zu urteilen gewesen sein und bei der Frage was sie wohl mit sich tragen wurde mir mit einem Schlag ganz anders...

 

Hatte ich anfangs noch gedacht und gefühlt Traudl würde mich meiner Oma näher bringen, vielleicht ein wenig das Verständnis wecken weshalb sie so reagiert wie sie es tut, ist dieses Verständnis seit einer Aussage von meiner Oma gestern plötzlich wie weggeblasen. Sie war sich sicher, so „dumm“ wie Sophie Scholl war, könnte sie nur aufgrund ihres Bruders gewesen sein. Dumm weil sie doch hätten wissen müssen, dass man ein so großes Regime nicht einfach umstimmen kann, dumm weil sie hätten ahnen müssen wie das ganze für sie ausgeht und weil sie trotzdem den Mund aufmacht. Nein auf so einen Gedanken kann ein vernünftiges Mädchen nicht von selbst kommen.

Bei solchen Aussagen würde ich sie am liebsten schütteln, da sie sonst eine viel stärkere Frau ist als man denkt. Natürlich wussten die Mitglieder der weißen Rose das es gefährlich sein würde. Es dennoch zu tun war nicht dumm, sondern mutig und zeigt auf wie groß ihre moralische Überzeugung, wie stark der Wunsch diese Welt zu einem besseren zu ändern doch gewesen sein muss.

Ein ähnliches Bild zeigt sich nun in Russland auf. Hunderte von Menschen gehen auf die Straße um „Nein zum Krieg“ zu sagen, friedlich zu demonstrieren und zu zeigen wir wollen das nicht, wir wollen Frieden. Jeder der in Russland selbst nach draußen geht und lautstark protestiert läuft Gefahr verhaftet zu werden und wer weiß was noch alles. Das ist es was ein Regime ausmacht, das ist es was die Freiheit wirklich einschränkt, nicht ein paar Maßnahmen die uns dazu bringen den Hintern Zuhause zu behalten um die Menschen zu schützen, die schwächer sind als wir und von einer höheren Gewalt (nämlich einer Krankheit) umgebracht werden könnten.

Dank Instagram und Co haben wir einen Blick direkt in das Geschehen in Russland und der Ukraine und wenn ich dann lese, dass manche unter Bilder von Demonstrierenden für den Frieden und gegen den Krieg schreiben „Bleibt Zuhause“ oder „Dumm“ oder „Das wird doch eh nichts bringen, lasst es“, wird es mir eiskalt. Ja, wir wissen alle um die Gefahr auch die Menschen, die sich jetzt erheben und laut werden. Aber einfach den Mund zu halten und Zuhause zu bleiben, einfach untätig zuzusehen hatten wir schon mehr als genug und eigentlich sollte jeder wissen wie es endet. Ein Präsident, Bundeskanzler, Minister oder eine Regierung sollte immer für das Volk stehen, dass er oder sie regiert und dafür einstehen was die Bevölkerung will. Und hier haben wir eine Bevölkerung die den Mund aufmacht und deutlich macht, das ist nicht in unserem Sinne und nicht das was wir wollen. Stoppt den Wahnsinn. Jeder einzelne davon ist für mich Sophie Scholl. Jeder einzelne eine Heldin oder ein Held, mutig, moralisch korrekt und unglaublich willensstark. Es ist unsere Aufgabe ihnen zu zeigen, dass wir bei ihnen sind, sie in dem bestärken was sie tun und gedanklich alle Kraft und Hoffnung die wir haben in ihre Richtung schicken, in dem Glauben das die Masse etwas bewirken kann und es nicht vergebens ist für das einzustehen was wir uns alle wünschen, nämlich Leben zu retten.

Heute bin ich mit den Gedanken bei Russland und der Ukraine. Bei Soldaten auf beiden Seiten, die ihr Leben geben weil manche Menschen immer noch nicht begriffen haben, dass Leben und Frieden wichtiger sind als Macht. Bei der Bevölkerung, die um das eigene Leben und das ihrer Liebsten bangt und bei allen die sich unsicher, schutzlos und angesichts der Geschehnisse der letzten Jahre hilflos fühlen.

Heute bin ich in Gedanken bei der Premiere von Sophie und ich am 12.3.,also in dreizehn Tagen und dem Wunsch, dass es mehr sein wird als nur die Premiere von einem Theaterstück, dass wir vielleicht zumindest einem im Publikum Hoffnung schenken können, dass wir jemanden erreichen und wach rütteln und vielleicht auch dabei helfen zu verstehen.

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