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In Gedenken

Wenn man in Freiburg aufwächst kommt man an der Schönheit dieser Stadt einfach nicht vorbei. Doch wie so viele Städte hat auch Freiburg seine dunklen Seiten. Seiten die wir uns im Nachhinein betrachtet anders gewünscht hätten, Seiten von denen viele nicht allzu viel wissen. Als ich zur Schule ging wurde der zweite Weltkrieg so ziemlich in jedem Fach durchgekaut. Wie oft hatte man das Gefühl einem würde das Thema mittlerweile zum Halse heraus hängen und wie oft haben sich die Themen wiederholt. Ja es gab die Judenverfolgung, ja es war ein Regime mit einer heftigen Propaganda aber reicht es dann nicht auch mal wieder? Was dabei leider viel zu selten behandelt wurde waren echte Fälle, Momente, in denen die Geschichte unseren Weg gekreuzt hat und ihn noch heute kreuzt. Auch in Freiburg gab es die Judenverfolgung. Meine Oma ist Zeitzeugin doch fällt es mir oftmals schwer mit ihr über diese Zeit zu reden, denn ihre Generation wuchs mit so vielen für uns falschen Versionen der Wahrheit auf, dass sie teilweise zu stark beeinflusst wurden um Sehen zu können. Einerseits glaube ich ihr wenn sie sagt nichts davon mitbekommen zu haben, dass es im Schwarzwald anders gewesen sei. Andererseits erzählt sie manchmal Geschichten, die das Gegenteil bestätigen und mich glauben lassen, dass sie es nicht mitbekommen wollte. Vielleicht ist es der Eigenschutz ihrer Generation die Augen zu verschließen und zu vergessen, dass Nachbarn, Freunde, Bekannte verschwunden sind und unfair behandelt wurden. Aber wir sind eine andere Generation, eine Generation, die die Augen öffnen und hinsehen sollte um zu begreifen. Deshalb nehme ich euch heute noch einmal mit zurück in der Zeit, zu einem Kapitel des zweiten Weltkriegs, mit dem ich nicht in der Schule vertraut gemacht wurde. Es ist der frühe Morgen des 22.10.1940, ein Großteil Freiburgs schläft, vereinzelt lässt man in jüdischen Haushalten das Laubhüttenfest (eine Art Erntedankfest) ausklingen, bewahrt sich ein Stück Normalität. Doch die meisten liegen noch wohlig in ihren Betten, versunken in einer Traumwelt in denen ihnen keiner etwas anhaben kann. Am Tag zuvor gab es einen kurzen Bericht in der Tageszeitung, dass ausländische Juden mit sofortiger Wirkung ebenfalls in Konzentrationslagern untergebracht werden konnten, darüber hinaus gab es keine offizielle Warnung und wer hätte schon gedacht, dass dieses neue französische Gesetz so schnell hier in Freiburg greifen könnte? Den arischen Bürgern Freiburgs und der Umgebung wollte man den Trubel ersparen, denn gegen 5:30 Uhr wurden die Wohnungen der jüdischen Mitbürger gestürmt, die Bewohner aus ihrem Schlaf gerissen und das Fest jäh abgebrochen. Sicherlich, das Schlimmste steht an dieser Stelle vielen noch bevor, dennoch ist es das Desinteresse an ihnen, an dem Leben an sich, der Verlust und die Aufgabe sämtlicher Menschlichkeit ihnen gegenüber, die mich am meisten beklemmt wenn ich an diesen Teil der Geschichte zurück denke. Eine Deportation in dieser Größe ist keine Nacht und Nebelaktion, die mal eben spontan angeleiert wird, es bedarf einer Planung, eines Stundenplans den es abzuhaken gilt. Gerade einmal 2 Stunden lässt man ihnen um oftmals unter Aufsicht zu packen. Keine Zeit zu realisieren was passiert, keine Zeit sich zu verabschieden einfach keine Zeit. Direkt vor Ort mit dabei ein Notar bei dem sie gleich vor ihrem Abtransport unterzeichnen dürfen, dass sie ihre Besitztümer abgeben. Freiwillig? Mitnichten aber gesetzlich korrekt, denn mit dem Übertreten der Deutschen Grenze und einer Ausreise ins Ausland, verlieren Juden nach dem Gesetz zu dieser Zeit ihre Staatsangehörigkeit und damit auch sämtliche Besitzgüter. Mit ihrem Abtransport nach Gurs (Frankreich) werden die Juden ganz korrekt und vorschriftsgemäß enteignet. Wie groß ihre Angst gewesen ist, wie viel sie von dem ahnen was folgen wird, lässt sich anhand von Therese Loewyn und Max Frank erkennen. Beide nehmen sich nachdem sie die Aufforderung zu packen bekommen und vor die zwei Stunden abgelaufen sind das Leben. Betroffen von der Abschiebung sind alle. Vom Säugling bis hin zum alten Greis, vom jungen Mann bis hin zum Krüppel. Die Menschen werden aus ihrem Zuhause getrieben und teils über mehrere Zwischenstationen wie die Löwenbrauerei und dem Annaplatz zur Hebelschule gebracht von wo sie schließlich in sieben Züge verfrachtet werden bevor die lange Fahrt nach Gurs beginnt. Das diese Fahrt viele wiederum nicht überleben, Gurs und die Grenze vielleicht nie erreichen werden ist für das damalige Regime nur ein Formfehler, der sich leicht beheben lässt indem man verfügt, dass „das Vermögen aller Juden, die am 22.10.1940 ausgewiesen werden sollten, bei denen dies aber durch einen Todesfall nicht möglich ist“, genauso zu behandeln ist wie das Vermögen der ausgewiesenen Juden. Sicher, heute ist davon nicht mehr viel zu spüren wenn man durch unsere Stadt geht, dennoch ist dies unsere Geschichte, denn diese Menschen lebten zur Zeit unserer Großeltern, unterhielten sich mit ihnen, waren vielleicht befreundet und teils sogar ein Teil unseres eigenen Stammbaums. Sie wurden in einem Jahrhundert geboren, in dem viele von uns geboren wurden. Während sich einige gleich nochmal wohlig im Bett umdrehen oder ihren ersten Kaffee am Morgen aufsetzen werden jährt sich dieses Ereignis und wird 80 Jahre alt. Ein zweifelhafter Geburtstag, einer der uns zu denken geben sollte. Vor einer Weile wurde wieder eine Filmsequenz auf der blauen Brücke gedreht. Viele Menschen passieren sie am Tag. Doch wenn ihr heute über die blaue Brücke geht, dann haltet einen kleinen Moment inne und denkt an 375 Menschen, die vor 80 Jahren über eben diese Brücke gingen, voller Angst, ihres Zuhauses beraubt und einer ungewissen Zukunft entgegen. Denkt an die zwei Freiburger Juden, die tot waren vor man sie über diese Brücke treiben konnte und an alle die wenige Tage nachdem sie die Brücke überschritten nicht mehr lebten weil der Transport zu viel für ihre gebrechlichen Körper war und lasst uns hoffen das die Geschichte, die wir in dieser Stadt schreiben eine hellere ist.

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